Klettern in Arco

Langsam trieft Limoneneis über unsere vom Aluminiumabrieb der Kletterkarabiner schwarz gefärbten Hände – geschmolzen durch den lauwarmen Luftstrom der „Ora“, die vom Gardasee heraufweht. Wir sitzen auf dem Stadtplatz von Dro, entfalten unsere von den Kletterschuhen gequälten Füße und genießen das typische Treiben eines italienischen Dorfes. Der betörende Duft von üppig blühendem Jasmin raubt uns dabei fast den Atem.
So könnte es immer weitergehen: Morgens bei milder Morgensonne einen Espresso unter Walnussbäumen genießen, tagsüber eine der unendlich vielen Kletterouten in den steil aufragenden Talflanken des Sarcatales bei sengender Hitze bewältigen und abends nach dem obligatorischen Eis in einer Pizzeria die Kohlehydratspeicher auffüllen. Wobei das mit der Hitze nicht ganz stimmt, denn auf die Ora ist immer Verlass: Im Lauf des späten Vormittags frischt sie zunehmend auf und schützt vor Überhitzung vor allem in den südseitigen Routen.
Gossi war es tatsächlich gelungen, allen Terminwünschen der Teilnehmer gerecht zu werden. Letztlich führte dieser Umstand aber dazu, dass er rund um Christi Himmelfahrt 10 Tage ununterbrochen klettern musste, während das Teilnehmerfeld ständig wechselte. Im Gegensatz zu uns waren ihm jedoch keinerlei Ermüdungserscheinungen anzumerken – aber das sein nur am Rande erwähnt. Dass das Kletterangebot bei Arco bei den Neuländern zu großer Nachfrage führen würde, war absehbar. Ist doch der Gardasee seit Jahrzehnten zu Recht ein Sehnsuchtsziel deutscher Urlauber. Neben der faszinierenden Landschaft und dem italienischem Flair, hatten hintereinander weg bzw. nahezu zeitgleich drei gewaltige Freizeitaktivitäten die Beliebtheit der Region immer wieder gesteigert: Surfen am Gardasee war ja absoluter Kult. Allerdings sind die früheren Riesenbügelbretter mittlerweile eleganteren Unterlagen gewichen. Dann das Klettern rund um Arco. Wer etwas auf sich hielt, musste immer an Ostern dorthin. Nicht zuletzt die Transalp-Aspiranten, die regelmäßig im Sommer Riva und Torbole mit ihren Mountainbikes geradezu überrollen.
Während der 3 Tage wo ich mit dabei sein durfte, ging es erst einmal an die „Lastoni di Dro“. Das sind wasserzerfressene und damit teilweise äußerst raue Kalkplatten, die mit ihrer nahezu immer gleichmäßigen Steilheit unsere Fußgelenke in ewiger Schräghaltung strapazierten. Belohnt wurden wir jedoch mit dem Anblick einzelner Feuerlilien, die gerade in voller Blüte standen. Spannend war auch eine Begegnung schon am Einstieg: Wenige Meter unterhalb des ersten Standplatzes der Mehrseillängenroute „Dimensione Terzo“ (IV) räkelte sich eine gelbgrüne Zornnatter (Zumindest vermuten wir im Nachhinein, dass es eine war). Sie ist zwar laut „Wikipedia“ ungiftig, beißt aber anscheinend gern auch mal zu, was sie bei unserer Ankunft eindrücklich unter Beweis stellte, indem sie einen Ast attackierte, bevor sie sich wieder in ihr Schlupfloch verzog … .
Nach Bewältigung der Route mussten wir uns noch bei dem anschließend supersteilen Abstieg an den wegflankierenden Steineichen tief hinab bis zu den Weingärten entlanghangeln.
Die nächsten zwei Tage führten uns dann an die „Sonnenplatten“ bei Pietramurata auf der anderen Talseite, wo sich hoch über den Kletterern auch noch Basejumper austobten, von denen wir allerdings nur wenig mitbekamen. Die Routen „Gino Gianni“ (VI-) und „Man Lila“ (V+) waren schon deutlich anspruchsvoller als die gestrige Route, begeisterten aber durch langanhaltend gutgriffige Passagen, die wir vorbehaltlos genießen konnten, da uns Gossi als kundiger Vorsteiger sicherte. Weniger erbauend waren die vielen Glasscherben am Wanderparkplatz, die von einigen Autoaufbrüchen zeugten…
Drei Tage sind schnell vorbei. Zwei Apfelschorlen verdunsten noch am Abend des dritten Tages nahezu wirkungslos in unseren ausgedörrten Kehlen, der Abschied naht. Wir steigen ins Auto und verlassen eine Traumwelt, die tagsüber italienisches Flair bietet und nachts von Glühwürmchen durchgaukelt wird. Auf einer uralten Straße die so schmal ist, dass kaum ein Fahrzeug durchpasst, durchfahren wir das Tor des Gutshofes mit seinem kleinen Campingplatz, gleiten durch mauerbewehrte Weinberge mit dunkel mahnenden Zypressen und überqueren auf der Römerbrücke die wilde Sarca. Ein letzter Duft von Jasmin begleitet uns auf dem Weg nach Hause.
Alexander Neumann