1. Tag: Sobutsch (2486 m)
Eingeklemmt zwischen Peitlerkofel und den Nordwänden der Puez-Gruppe liegt auf rund 1525 m ein Südtiroler Kleinod. „Seres“ heißt der Ort oberhalb von Campill am Rande des Naturparks Puez-Geisler. Sein eigenartiger Name klingt genauso wie unser erstes Skitourenziel „Sobutsch“ und die auf dem Weg dorthin liegenden „Medalges-Alm“ nach uralter ladinischer Sprache, die man nur noch selten hört. Unser Stützpunkt vor Ort ist die Pension Odles (übersetzt: „Geisler“) – ein Volltreffer wie sich schnell herausstellt: Die Bandbreite der Annehmlichkeiten reichen von selber gemachtem Bergkäse über Buchweizentorte bis hin zu Sauna und Whirlpool. Das Beste aber ist, dass sich die Pension architektonisch unauffällig in das absolut sehenswerte Häuser-Ensemble bestehend aus gewaltigen Südtiroler Höfen einfügt. Wir lassen uns jedoch von den Verlockungen nicht beirren und nutzen den Ankunftstag für eine erste Skitour. Typische Dolomitenskitouren sind üblicherweise geprägt von steilen Rinnen und Karen auf der einen, aber auch sanften Hochflächen auf der anderen Seite. Wer einmal eine Selladurchquerung mit Abfahrt durch das berühmte Mittagstal durchgeführt hat, wird das bestätigen. Das heutige Skitourenziel ist da eher untypisch – quasi eine blaue Piste – bestehend aus einem längeren Talhatscher mit anschließend harmlosen Hügelkuppen. Wir d.h. Martin unser Guide, Claus, Markus, Christian, Andrea und meine Wenigkeit genießen den strahlenden Sonnenschein und die atemberaubende Sicht auf die Geislergruppe. Selbst die träge rumpelnden Nasschneelawinen der etwas weiter entfernten Steilhänge können uns die Laune nicht verderben Böses Erwachen gibt es aber dann doch auf Höhe der Medalges-Alm: Einer meiner Touren-Ski ist schlicht und ergreifend zerbrochen. Nur der Belag und die Kanten halten die Skihälften zusammen. Dass sich die Abfahrt dann durchaus interessant gestaltete, will ich nicht weiter vertiefen…. Viel wichtiger war es jetzt erst mal – nun zu Fuß – den Gipfel zu erreichen. Um die Gipfelaussicht zu beschreiben, lass ich an dieser Stelle einem Buchautor den Vortritt, der das viel besser kann, nicht zuletzt deshalb, weil er ein Jahr auf der Medalges-Alm verbracht hat. Jürgen König heißt er und sein Buch so wie die Alm: „Medalges“:
„Vom Zwischenkofel bis zum Sas Rigais gleichen die Wände einer gigantischen Theaterkulisse, und die gezahnten Gipfel und Grate sind wie mit der Laubsäge aus dem Blauschwarz des Himmels geschnitten. Les muntes slaurides, die bleichen Berge, oder: lis palyes montes, wie sie im Grödner-Ladinisch heißen. Im Osten auch zum Greifen nahe, fällt die mächtige Westwand des Heiligkreuzkofels in Schotterkaere, die sich in Bergwald und Almwiesen verlieren. Es ist so hell, dass sogar die hoch gelegenen Bauernhöfe zu sehen sind. Und im Südosten schneebedeckten Kappen der Sella-Gruppe. Hinter mir der Peitlerkofel, der wie ein schlafender Wächter mit einem Mordsbuckel der letzte in der Kette der Aferer Geiseln ist. Auf seiner mir abgewandten Seite ist nichts mehr übrig von der Behäbigkeit der grasbewachsenen Südflanke. Die „Direkte Nordwand“, 1968 erstmals von Reinhold und Günther Messner durchstiegen, ist eine Perle für Dolomiten-Alpinisten……Niemand außer uns ist den Puez-Wänden so nahe, wir sitzen auf dem Logenplatz, keiner stört uns. Der Eintritt ist frei, wogender Applaus regt sich nur im Innern.“
2.Tag: Östliche Puez-Spitze (2913 m)
Wir stehen wenige Meter unterhalb des Gipfels der Östl. Puezspitze, dem höchsten Gipfel der Puez-Geisler-Gruppe – und schauen in einen schattig düsteren Felsschlund, den berühmten „Canale Nord“ hinab, der sich immer stärker verengend, nach rund 200 Metern und bei rund 40 Grad Neigung nach rechts ins Ungewisse verkrümelt. Mehr ist nicht zu sehen. Außer dass 1000 Meter tiefer der Talboden auftaucht. Eisige Kristalle blasen uns von unten ins Gesicht, schwarzer Fels grinst uns erwartungsvoll entgegen. Ein paar Skifahrer kratzen seitlich abrutschend den glattgebügelten Schnee hinab, wagen kaum einen Schwung und plärren sich für uns Obenstehende Unverständliches zu. Entspanntes Skifahren sieht anders aus! „Was tun“, sprach Zeus? Auch wenn die Befahrung des „Canale Nord“ ein Highlight für ambitionierte Skifahrer sein mag, entscheiden wir uns für die Abfahrt auf der abwechslungsreichen Aufstiegsroute. Selbst hier müssen wir eine enge und steile Rinne unterhalb des Puezjochs überwinden, die tückischerweise mit Eisplatten aufwartet, die durch Tropfwasser aus den überhängenden Felswänden entstanden sind. Harsch, Pappschnee und schwerer Pulver wechseln sich ab. Erst weiter unten gibt’s immer mehr Firn. Aus zerfahrenem Schnee wird eine pistenmäßig eingefahrene Route, der es selbst im dichten Wald nicht an Schnee mangelt. Das heißt für uns: Abfahrtsgenuss bis zuletzt, den wir gerne auskosten. Die einzige Frage die sich uns heute noch stellt, ist die der optimalen Reihenfolge der Flüssigkeitsaufnahme (Cappuccino oder Bier zuerst?) und die der optimalen Entspannung (Sauna oder Dampfbad?).
3. Tag: Kleiner Peitlerkofel (2813 m)
Heute starten wir direkt an der Pension. Dank der üppigen Schneefälle die heuer den Südalpen zugute kamen, können wir schon nach wenigen Metern anschnallen und folgen erst einmal den im Sommer sehenswerten Mühlenweg. Der Himmel ist verdächtig klar und die Wolken ziehen schnell. Die Waldstufe und scharf eingeschnittenen Bachtäler überwinden wir bequem auf einem breiten Wanderweg. Weiter oben queren wir am Fuß des gewaltigen Gipfelaufbaus nach Süden mitten hinein in die wogenden Almflächen, die sich bis zum Zendleser Kofel und zur Schlüterhütte hinziehen und eine Vielzahl an Skitourenvarianten bieten. Einiges an Nassschneelawinen ist aus den Steilhängen des Peitlerkofels offensichtlich in den Tagen zuvor schon abgegangen, so dass wir respektvoll Abstand halten – man weiß ja nie. In der gewaltigen und vielbefahrenen Gipfelmulde zwischen Kleinen und Großen Peitlerkofel schrauben wir uns dann Spitzkehre für Spitzkehre nach oben. Mal sticht die Sonne erbarmungslos auf uns herab, mal pfeifen uns eisige Böen um die Ohren. Oben angekommen pausieren wir nur kurz auf dem Gipfel des „kleinen Bruders“, da wir ohne Unterlass mit Eiskörnern, die der Wind aus dem nordseitigen Gipfelhang reißt, berieselt werden. Für eine Tasse Tee und eine Kaminwurz’n reicht’s allemal – so viel Zeit muss sein. Den stahlseilbewehrten Aufstieg auf den Großen Peitlerkofel lassen wir aufgrund des Föhnsturms bleiben und fahren ab. Wie am Vortag sind die Abfahrtsspuren in den oberen Bereichen hartgefroren und sorgen für eine ruppige Abfahrt. Unten gibt’s dann wieder Firn bzw. weicheren Nassschnee. Wieder fallen uns rötlichgelb gefärbte Schneeflächen auf, die durch die Ablagerung von Saharastaub entstanden. Das besonders interessante daran ist, dass diese Flächen aufgrund ihrer Färbung sich schneller erwärmen und damit schneller aufweichen. Wir nutzen das Phänomen für harschfreies Abfahren. Unten angekommen empfangen uns harmloser Sonnenschein, ein streichelbedürftiger Bernhardiner und der obligatorische Capuccino – Danke Martin für die 3 tollen Tage!